17: Nicaragua

Teil des mittelamerikanischen Trockenkorridors

Nicaragua ist Teil des mittelamerikanischen „Trockenkorridors“, der sich von der Pazifikküste Zentralamerikas über Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua erstreckt. Es leben knapp 10 Millionen Menschen auf dieser ca. 53 Millionen Hektar großen Fläche. Was dort klimatisch geschieht, hat entsprechend riesige Ausmaße. Der Name des Gebiets basiert auf der vier Monate anhaltenden Trockenzeit zwischen November und April mit einer sehr geringen Niederschlagsmenge von nur 800 – 2000 mm pro Jahr. Die Folgen des Klimawandels sind für die Bevölkerung des sogenannten „Trockenkorridors“ besonders gravierend. Indem ohnehin schon sehr trockenen Gebiet verstärkt der Klimawandel vorher bereits da gewesene Probleme: Die vom IPCC durchgeführten Szenarien weisen auf Änderungen der Temperatur, der Niederschläge, der Saisonalität und die Zunahme von Extremwetterereignisse, wie Dürren, Überschwemmungen und starke Wirbelstürme hin.

Landkartenindex (2011): Landkarte Nicaragua.

Nicaragua trifft es besonders hart: Im Global Climate Risk Index 2019 von Germanwatch, der untersucht, inwieweit die Länder der Welt im Zeitraum zwischen 1998 und 2017 von Extremwetterereignissen betroffen waren, belegte das Land Platz sechs. Es zählt zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas, indem rund 43 % der Bevölkerung in Armut leben, die meisten von ihnen auf dem Land mit einem Tageseinkommen von weniger als einem US-Dollar. Besonders betroffen von Armut sind die indigene Bevölkerung, Frauen und Jugendliche. Durch die fehlenden finanziellen Mittel ist es für das Land extrem schwer, sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, da sie sich die oftmals kostenintensiven Anpassungsmaßnahmen nicht leisten können. Das macht Nicaragua zu einer Region, die als sehr anfällig für Klimaschwankungen und –veränderungen gewertet wird. Dabei verfügt die Region über große Naturreichtümer und beherbergt sieben Prozent der weltweiten Tier- und Pflanzenarten. Außerdem verfügt das Land mit dem Nicaraguasee über die größte Süßwasserreserve in Mittelamerika. Diese ökosystemare Vielfalt steht jedoch unter enormen Druck: Zum einen werden die artenreichen Waldgebiete durch Bodenzerstörung, Abholzung und Monokulturen vernichtet und zum anderen fehlt es an moderner Infrastruktur, um z. B. das natürlich vorhandene Süßwasser aufzubereiten und für alle Teile der Bevölkerung, darunter auch die zentrale Bergregion, zugänglich zu machen.

Runder Tisch Zentralamerika (2021): Der zentralamerikanische Trockenkorridor.

Isla Ometepe (2020): Nicaraguasee mit einer Fläche von 8.264 km².

Schwankungen des Klimas

Die Folgen des Klimawandels sind in Zentralamerika für die Bevölkerung des „Trockenkorridors“ besonders gravierend. Insbesondere im letzten Jahrzehnt haben durch den Klimawandel verstärkte Wetterextreme zugenommen. Für Nicaragua bedeutet dies eine diskontinuierliche Verteilung der Niederschläge und ein Ansteigen der Minimal- und Maximaltemperaturen: Es wurden stetig neue Rekordtemperaturen gemessen, Hitzewellen und verlängerte Trockenperioden traten ebenso auf wie geringere jährliche Niederschlagsmengen bei gleichzeitig größerer Konzentration der Niederschläge (Starkregen und Überschwemmungen), die teilweise zu sehr untypischen Zeitpunkten im Jahr auftraten. Selten gab es klimatisch gesehen „normale“ Jahre. Die Abfolge von Regenzeit und Trockenzeit hat sich also verändert. Durch die Klimaveränderungen, vor allem die diskontinuierliche Verteilung der Niederschläge, werden Dürren, Wasserprobleme, gesundheitliche Probleme (Atemwegserkrankungen und eine Zunahme von Malaria und Dengue-Fieber) und (trans-)nationale Arbeitsmigration aufgrund von Versteppung landwirtschaftlicher Produktionsflächen zunehmen. Die nicaraguanische Umweltorganisation Centro Humboldt geht davon aus, dass ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit um 1,5 °C, wie sie im Pariser Klimaabkommen als Ziel ausgegeben wurde, in Zentralamerika einen Temperaturanstieg um bis zu 4 °C zur Folge haben könnte. Dabei gilt es mittlerweile als unwahrscheinlich, dass das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen überhaupt eingehalten werden kann. Deutlich ist, dass sich hinter dieser abstrakten, global gerechneten Zahl extreme Veränderungen des lokalen Klimas verbergen, die unter anderem bereits bestehende Krisen in Zentralamerika verschärfen wie beispielweise die hohe Arbeitslosigkeit, Gewalt, Konflikte um Land und natürliche Ressourcen sowie eine zunehmende Belastung und Zerstörung der Umwelt. All diese Faktoren wirken sich negativ auf die Lebensgrundlagen der Bevölkerung aus. Daher ist es nicht überraschend, dass der Klimawandel und seine Folgen z. B. die ansteigende Ernährungsunsicherheit in den letzten Jahren zunehmend entscheidende Einflussfaktoren für die Migration sind.

Ernährungsunsicherheit wächst

Durchschnittlich sind 62 % der Familien in den ländlichen Regionen des Trockenkorridors auf die Subsistenzlandwirtschaft basierend auf Mais und Bohnen angewiesen. 80 % der Haushalte, die von der Produktion von Grundnahrungsmitteln abhängig sind, leben unterhalb der Armutsgrenze und 30 % von ihnen leben in extremer Armut. Das Wohl der Menschen im zweitärmsten Land Lateinamerikas ist mit der Natur eng verbunden. Mehr als 50 % der nicaraguanischen Bevölkerung lebt direkt von der Landwirtschaft. Für zahlreiche kleinbäuerliche Familien ist der Ertrag ihrer Felder die einzige Einkommensquelle. Überschwemmungen und ungewöhnlich lange Trockenzeiten, die mit der Klimakrise immer häufiger auftreten werden zu lebensbedrohlichen Ereignissen. Ein Beispiel dafür ist El Niño, eine Zirkulationsanomalie, die zwischen 2014 und 2016 in Nicaragua wütete. Hierdurch gab es entlang des gesamten Trockenkorridors enorme Ernteausfälle aufgrund von extremer Dürren. Dabei gingen laut des Centro Humboldts 2016 bis zu 90 % der Maisernte und 60 % der Bohnenernte verloren. “Der Klimawandel hat die Voraussetzungen für eine landwirtschaftliche Produktion im Trockenkorridor zunichtegemacht”, so Victor Campos, Direktor des Centro Humboldt. “Das führt zur Nahrungsmittelknappheit. Wenn es keine andere Einkommensquelle in den Familien gibt, führt das zu Hungersnöten.” Die Abfolge von Regenzeit und Trockenzeit hat sich verändert. Dies wirkt sich negativ auf die Landwirtschaft aus: Laut Studien des nicaraguanischen Umweltministeriums wird wegen der abnehmenden Niederschläge und der Dürren in Zentralamerika mit einem höheren Salzgehalt auf Böden gerechnet, was vor allem für landwirtschaftlich genutzte Flächen einen Rückgang der Ernteerträge bedeutet. Das heißt, bereits geringe Temperatur- und Niederschlagsveränderungen können große Auswirkungen auf tropische und subtropische Landwirtschaftssysteme haben, die in Nicaragua die wirtschaftliche Haupttätigkeit darstellt. Ein Dürrejahr kann dabei unter Umständen durch vorhandene Vorräte oder andere Strategien kompensiert werden. Kommen zwei oder drei verlustreiche Ernten in Folge, führt dies zu massiven Ernährungskrisen. Eine der sichtbarsten Auswirkungen des Klimawandels ist daher die Zunahme der Ernährungsunsicherheit in der Region. Für das laufende Jahr 2021 gehen Schätzungen von insgesamt 7 Mio. Menschen aus, die in Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua unter mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit leiden.

“Ich weiß nicht, wie lange ich unter diesen Umständen noch von diesem Stück Land leben kann. Wer weiß, vielleicht verhungere ich eines Tages”, sagt Subsistenzfarmerin Blanca Landero Betarco. “Genau das ist es, was dieses Land für uns vielleicht noch hergibt: den Tod.”

DW.com (2019): Zwischen Überschwemmung und Dürre: Kleinbauern in Nicaragua sehen der Zukunft mit Sorge entgegen.

Runder Tisch Zentralamerika (2021): Die Folgen der Dürrejahre

Klimabeobachtung für mehr Ernährungssicherheit

Um mit den Schwankungen des Klimas in Nicaragua umzugehen, gibt es verschiedenste Lösungsstrategien. Eine dieser ist vom Centro Humboldt konzipiert wurden: Es hat in Nicaragua und Zentralamerika ein umfassendes Klimamonitoring etabliert, das sowohl der Anpassung an den Klimawandel als auch dem Risikomanagement dient. Dazu kooperiert das Centro Humboldt mit weiteren Organisationen aus den Ländern Zentralamerikas sowie mit Menschen aus Gemeinden, die vom Klimawandel betroffen sind. Für das Klimamonitoring wurden Wetterstationen (mehr als 300 alleine in Nicaragua) in den Gemeinden installiert, die gegenüber Klimaveränderungen besonders anfällig sind. Gesammelt werden die Daten von einem Gemeindenetzwerk von Klimabeobachterinnen und Klimabeobachtern in Zentralamerika: Sie geben die entsprechenden Informationen an das Centro Humboldt und seine Partnerorganisationen weiter, die die Daten verarbeiten und analysieren. Mit der Arbeit werden verschiedene Ziele verfolgt. Auf lokaler Ebene sollen Hinweise für die Klimaerhitzung gefunden werden, in den Gemeinden wird so auch ein Bewusstsein für die Zunahme der Temperaturen und die damit verbundenen Gefahren geschaffen. Gleichzeitig sollen Strategien zur Anpassung entwickelt werden. Dazu gehört, auf öffentliche Anpassungsmaßnahmen Einfluss zu nehmen und die Gemeinden in ihren individuellen Strategien zu stärken. Beispielsweise ermöglicht das Klimamonitoring den Organisationen, Empfehlungen hinsichtlich des Zeitpunkts der Aussaat an die Gemeinden zu geben, um die Produktion und schließlich die Ernährungssicherheit der Bevölkerung zu steigern. Gleichzeitig ist das Klimamonitoring die Grundlage für ein Frühwarnsystem, da mithilfe der Daten beispielsweise Überschwemmungen frühzeitig prognostiziert werden können.

Videos/Bilder

The New York Times (2021): How Climate Change Has Upended a Nicaraguan Town’s Way of Life.

Quellen & Weitere Links