16: Äthiopien

Hochland – das sozioökonomische Rückgrat Äthiopiens

Äthiopien ist ein 1.104.300 km² großer Binnenstaat am Horn von Afrika und ist mit einer geschätzten Einwohnerzahl von über 100 Millionen nach Nigeria das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas. Das Landschaftsbild ist äußerst heterogen: Auf weitläufige Tieflandgebiete im Osten sowie im äußersten Westen des Landes folgen enorme Höhenunterschiede auf zum Teil engstem Raum im Hochland Äthiopiens. Dieses extreme Relief bringt eine starke Geodiversität, und mit ihr eine Vielfalt an Ökosystemen hervor, die so nur selten auf der Welt zu finden sind. Vor allem das Hochland bildet durch seine fruchtbaren Böden, seinen Ressourcenreichtum und seine zahlreichen Ökosystemleistungen seit jeher das sozioökonomische Rückgrat der äthiopischen Gesellschaft. Daher verwundert es auch nicht, dass im Gegensatz zu vielen Gebirgsregionen des Globalen Nordens ein Großteil der Bevölkerung Äthiopiens in knapp 1.500 m Höhenlage lebt.

Taz (2021): Trockenheit in Äthiopien – Staub auf den Feldern.

Trotz des hohen Bevölkerungswachstums leben immer noch 84 % der Menschen im ländlichen Raum und 85 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig oder von dieser direkt abhängig. Allerdings leidet das äthiopische Hochland zunehmend unter dem sozioökonomischen Druck einer stetig wachsenden Bevölkerung, dessen Landwirtschaft auf ineffektive Landnutzungsstrategien basieren mit weitreichenden Negativfolgen für die dort lebenden Menschen und den sensiblen Ökosystemen des Landes. Insbesondere die kontinuierliche Reduktion der natürlichen Waldfläche, verursacht durch die unkontrollierte landwirtschaftliche Expansion, die starke Überweidung sowie den steigenden Bedarf an Baumaterialien und Brennstoffen befördert Bodendegradation, bedroht die traditionelle Subsistenzökonomie der ländlichen Bevölkerung, hat negative Auswirkungen auf die Biodiversität und vergrößert die Vulnerabilität gegenüber Naturkatastrophen, Dürreperioden sowie den facettenreichen Auswirkungen des Klimawandels. Das sozioökonomische Rückgrat Äthiopiens läuft also immer mehr Gefahr, keine verlässliche Quelle bzw. Alternative mehr zu sein, wenn die Gesellschaft mit weiteren klimawandelbedingten Herausforderungen konfrontiert wird.

Friis et al. (2010): Dominante topographische Charakteristika Äthiopiens.

GEOplus Magazine (2020): die Simien Mountains im Norden Äthiopiens.

Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist der dominierende Sektor in Äthiopien und trägt fast zur Hälfte des Bruttoinlandprodukts des Landes bei: Etwa 85 % der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig oder von dieser direkt abhängig. Dabei bewirtschaften sie hauptsächlich in traditionellen, kleinbäuerlichen Subsistenzökonomien in den Hochlagen mit niedrigem Mechanisierungs- und Technologiestand mit durchschnittlich äußerst geringem Flächenertrag. Ein weiterer großer Teil dieser lebt als halbnomadische Hirten. Sie beziehen die Hälfte ihres Einkommens aus der Viehzucht und den Produkten der Viehzucht. Dabei sind sie auf gemeinschaftliches Weideland angewiesen, im Gegensatz zu Landwirten, die rechtlich zertifizierte und abgegrenzte Grundstücke besitzen, wodurch ihre Ernährungssicherheit besonders gefährdet ist. Vor wenigen Jahrzehnten produzierten die äthiopischen Weideflächen noch genügend wertvolle Rohstoffe, heute wird die Produktivität der Landwirtschaft immer geringer. Die Gründe dessen sind vielfältig und umfassend: Die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen haben sich über die letzten Jahrhunderte kaum verändert, z. B. werden Felder immer noch fast ausschließlich von Hand oder mit Ochsenpflug bestellt und künstliche Bewässerungssysteme zur Überbrückung der langen Trockenzeiten existieren nur sporadisch. Außerdem werden durch den Ackerbau in starken Hanglagen ohne Terrassierung vielerorts die verbliebenen Nährstoffe während der Regenzeiten regelmäßig aus den Böden herausgewaschen. Hinzukommt die flächendeckende Überweidung in den anthropogen genutzten Hochlandregionen, welche durch die allmähliche Vernichtung der Vegetationsdecke ebenfalls im hohen Maß zur Bodendegradation beitragen. In Kombination mit dem zunehmenden Versorgungsdruck der stetig wachsenden Bevölkerung führen die anhaltend geringe Produktivität der traditionellen Landwirtschaft und die seit Jahrhunderten fortschreitende Bodendegradation zu einem immer größeren Flächenbedarf, der insbesondere durch eine kontinuierliche Reduktion der verbliebenen Waldfläche gestillt wird.

SPIEGEL (2018): Die Bauernkultur der Konso ist berühmt für ihren aufwendigen Terrassenfeldbau. Die geringe Größe der Parzellen und fehlende finanzielle Mittel machen den Einsatz von Maschinen unmöglich.

Waldverschwinden

Die einst ausgedehnten Waldflächen Äthiopiens haben durch die unkontrollierte Expansion der Landwirtschaft, der starken Überweidung, den steigenden Bedarf an Baumaterialien und Brennstoffen und durch die unzureichende Integration lokaler Interessen in Waldmanagementstrategien von rund 40 % zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf unter 3 % im Jahr 2018 abgenommen. Dieser Waldrückgang hat erhebliche und weitreichende Negativfolgen für Mensch, Umwelt und Klima. Zum einen ist die Zerstörung der Wälder für die Hälfte der weltweiten Treibhausgase verantwortlich, denn Wälder dienen als natürliche Kohlenstoffspeicher, die mit ihrer Abholzung freigesetzt werden. Zum anderen wirkt sich der Wald positiv auf das lokale Wetter aus und dient bei Ernteausfällen als Nahrungsquelle.

Es existieren deutliche, sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkungen zwischen den zwei zentralen Umweltproblemen des äthiopischen Hochlands: Während die zunehmende Bodendegradation die Menschen dazu nötigt, für die kurzfristige Absicherung ihrer Subsistenzgrundlage immer tiefer in die verbliebenen Waldgebiete vorzustoßen, beschleunigt der kontinuierliche Waldrückgang seinerseits die Bodendegradation und den Verlust zahlreicher Ökosystemleistungen mit drastischen Langzeitfolgen für die sensiblen Ökosysteme, die Existenzsicherung der lokalen Bevölkerung sowie die innenpolitische Stabilität des Landes.

Um dieses Problem anzugehen, hat die äthiopische Regierung im Rahmen des Nationalen Grünen Entwicklungsprogramm ein Baumpflanzprogramm entwickelt und vor Kurzem mehr als 350 Mio. Bäume an einem Tag gepflanzt. Die Regierung plant die Pflanzung von insgesamt 4 Mrd. Bäumen auf 1,5 Millionen Hektar im ganzen Land, um den Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung etwas entgegenzusetzen. Dabei ist es jedoch essenziell, dass die neuen Wälder gepflegt und geschützt werden und die Art und Weise, wie sie angepflanzt werden, auch langfristig nachhaltig ist: „Aufforstung darf nicht als Ausrede benutzt werden, um Plantagen anzulegen“, sagt die promovierte Forstwissenschaftlerin Victorine Che Thöner von Greenpeace Afrika. Außerdem ist der Erhalt der ohnehin schon bestehenden Wälder der wichtigste.

Klimareporter (2020): Äthiopische Baumschulen.

Der Klimawandel und seine Auswirkungen

Die anthropogen induzierten Umweltveränderungen im äthiopischen Hochland werden vom gegenwärtigen Klimawandel überlagert. Das Land spürt die Folgen des Klimawandels besonders stark: Die Wahrscheinlichkeit einer schweren Dürre ist heute fünfmal höher als noch vor 60 Jahren. 2015 und 2016 war die Dürre besonders schlimm: Allein in der Hamar-Region im Südwesten Äthiopiens starb die Hälfte der drei Millionen Herdentiere, nachdem es 18 Monate lang so gut wie nie geregnet hatte. Äthiopien ist fast überall von Dürren und Extremniederschlägen betroffen: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben die mittleren Durchschnittstemperaturen in Äthiopien jährlich um etwa 0,03 K zugenommen, begleitet von einem Rückgang der sommerlichen Hauptniederschläge. Gleichzeitig nehmen allerdings neben Dürre auch Extremniederschlagsereignisse zu. Die Sensibilität des äthiopischen Hochlands gegenüber Klimaveränderungen lässt sich vor allem dort beobachten, wo erhöhte Niederschlagsvariabilität die Nahrungsmittelsicherheit der ländlichen Bevölkerung bedroht. Bereits in den vergangenen Dekaden haben sich in einigen Regionen des nördlichen Hochlands die klimatischen Anbaubedingungen für Getreide während der kleinen Regenzeit so stark verschlechtert, dass adäquater Anbau in diesem Zeitraum kaum mehr möglich ist. Zunehmende Temperaturen, Dürrefrequenzen und Niederschlagsvariabilität werden im Zusammenspiel mit der weiter voranschreitenden Bodendegradation ohne effektive Gegenmaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ernteertrag weiter reduzieren und damit die Ernährungssicherheit noch einmal deutlich absenken. Die Abhängigkeit von ausreichenden Niederschlägen für die Ertragsfähigkeit des Regenfeldbaus betont das enge Zusammenspiel von Klima und Landwirtschaft im Hochland Äthiopiens und den dringenden Bedarf an effektiven Anpassungsmaßnahmen. Ohne sie droht die ohnehin geringe Produktivität im Ackerbau und in der Tierproduktion weiter zu sinken und die Produktionsvariabilität weiter zu steigen.

Wie Wetterstationen die Anpassungen an den Klimawandel ermöglichen

Angesichts dieser vielfältigen Herausforderungen besteht der dringende Bedarf an effektiven, nachhaltigen und regional zugeschnittenen Anpassungsstrategien unter starker Einbindung der lokalen Bevölkerung, um soziale, ökonomische und ökologische Entwicklungsbedürfnisse in Einklang zu bringen. Eine dieser Strategien wurde von einem der einflussreichsten Umweltwissenschaftlern Äthiopiens Negusu Akilu konzipiert. Er leitet ein Projekt namens MAR. Es sieht vor, mithilfe von verbesserten Wetter- und Klimainformationen die ökonomische Lage der Hirten zu verbessern. Dafür wurden in der Afar-Region (Grenzregion zu Somalia und Südäthiopien) 25 automatische Wetterstationen entwickelt, die alle wichtigen Daten an den äthiopischen Wetterdienst weiterleiten, welcher wiederum die kurz- und mittelfristigen Prognosen für die Gebiete und eine Saison-Vorhersage als Meldungen über Radiostationen, SMS- und neuerdings auch Push-Nachrichten – und zwar übersetzt in die Sprache der Empfänger verbreitet. Hierbei werden die Prognosen jeweils auf die Zielgruppe angepasst. In einer Gemeinschaft mit ausschließlich Hirten, wird den dort ansässigen mitgeteilt, dass der nächste Monat trockener werden dürfte als normal und sie für ihre Tiere Futter und Wasser speichern oder in ein anderes Gebiet ziehen sollten. Es ermöglicht der Bevölkerung also besser mit den Risiken des Klimawandels fertig zu werden.

Seitens der Regierung wird abgesehen vom Aufforsten der Wälder auch ein wesentlicher Schritt gegen die massiven Bodendegradationsproblematik unternommen. Zusammen mit bilateralen Gebern wie der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat die Regierung verstärkt in nachhaltige Landnutzungsprojekte investiert. Der englische Fachterminus Soil and Water Conservation (SWC) beinhaltet in diesem Kontext Maßnahmen wie Terrassenbau, Steingräben, Absperrungen von Weiden und Anlagen zur Regenwasserspeicherung, die in der Regel in enger Kooperation mit der Landbevölkerung in vielen Teilen des Landes ergriffen wurden.

Videos/Bilder

Arte (2016): Die Sonnenmenschen von Tokelau

Quellen & Weitere Links